Über­wa­chung, Bespit­ze­lung, Repressalien !

Hoch­in­ter­es­san­te Ein­bli­cke in die Auf­ga­ben und Funk­tio­nen des Minis­te­ri­ums für Staats­si­cher­heit in der DDR 

Die akti­ve Aus­ein­an­der­set­zung mit der Geschich­te der DDR und der SED-Dik­ta­tur ist auch Jahr­zehn­te nach der fried­li­chen Revo­lu­ti­on und der Deut­schen Ein­heit aktu­ell. Die Jugend muss wis­sen, wie das All­tags­le­ben in der DDR aus­sah und wel­che Schat­ten­sei­ten es in der dama­li­gen DDR gab, die vie­le unse­rer Eltern mit­er­lebt haben.

Auch wir, Schü­ler der 10. Klas­se der Arnol­di­schu­le, mach­ten es uns im Rah­men der Sozi­al­kun­de-Pro­jekt­ta­ge im März 2018 zur Auf­ga­be einen Teil der DDR-Geschich­te näher zu beleuch­ten: die Rol­le des Minis­te­ri­ums für Staats­si­cher­heit (MfS), kurz Sta­si, sowie die fried­li­chen Revo­lu­ti­on in Thü­rin­gen im Jah­re 1989.

Am ers­ten Pro­jekt­tag, dem 08. März 2018, stu­dier­ten wir Aus­zü­ge aus den Sta­si­ak­ten von Gün­ther Hein­zel und sei­ner Frau Eva (gebo­re­ne Debes). Gün­ther Hein­zel wur­de 1948 in Wal­ters­hau­sen gebo­ren. Er besuch­te die Arnol­di­schu­le und wur­de im Jah­re 1965 nach einem miss­glück­ten Flucht­ver­suchs in den Wes­ten inhaf­tiert. Nach sei­ner Ent­las­sung 1966 war er zunächst als Dru­cke­rei-Hilfs­ar­bei­ter und spä­ter als Bau­zeich­ner tätig. Nach zwei­jäh­ri­ger Vor­be­rei­tung gelang ihm 1970 die Flucht nach West­ber­lin. Sei­ne Freun­din Eva konn­te er erst spä­ter nachholen.

Am zwei­ten Pro­jekt­tag, dem 14. März 2018, besuch­ten wir die „ Gedenk – und Bil­dungs­stät­te Andre­as­stra­ße“. Hier, am authen­ti­schen Ort, wird erin­nert an die Unter­drü­ckung und den Wider­stand wäh­rend der SED-Dik­ta­tur in Thü­rin­gen, denn hier befand sich einst eine Unter­su­chungs­haft­an­stalt des Minis­te­ri­ums für Staats­si­cher­heit sowie im angren­zen­den Gebäu­de die MfS-Bezirks­ver­wal­tung. Mehr als 5.000 Men­schen wur­den hier inhaf­tiert, weil sie sich dem Regime wider­set­zen. Die Gedenk­stät­te wur­de 2013 eröff­net, seit­dem ist die Dau­er­aus­stel­lung „Haft, Dik­ta­tur, Revo­lu­ti­on, Thü­rin­gen 1949–1989“ zu besich­ti­gen. Sie stellt aus­drucks­stark auf Bil­dern und in Video­se­quen­zen Zeit­zeu­gen­aus­sa­gen in den Mit­tel­punkt. Die Fas­sa­de des moder­nen Anbaus gestal­te­te der Ham­bur­ger Comic-Künst­ler Simon Schwartz mit einem 40 Meter lan­gen Bild: der Kubus der Fried­li­chen Revo­lu­ti­on. Der in Erfurt gebo­re­ne Künst­ler ver­frem­de­te rea­le Fotos von 1989 im Sti­le eines Comics.

Auch der Sta­si­un­ter­la­gen­be­hör­de auf dem Peters­berg stat­te­ten wir einen Besuch ab und staun­ten über die schier unend­li­chen Rei­hen der gesam­mel­ten Akten. Auf­bau und Arbeits­wei­se des MfS wur­den uns auch hier anschau­lich ver­ständ­lich gemacht.

Das Minis­te­ri­um für Staats­si­cher­heit war dem­nach Nach­rich­ten­dienst, Geheim­po­li­zei und Macht­in­stru­ment der SED. Im Jah­re 1989 gab es cir­ca 91.000 haupt­amt­li­che sowie 190.000 inof­fi­zi­el­le Mit­ar­bei­ter (IM). Letz­te­re wur­den aus allen Bevöl­ke­rungs­krei­sen teil­wei­se mit Druck­mit­teln als Spit­zel ange­wor­ben. Ins Visier konn­te jeder DDR-Bür­ger gera­ten, vor allem wenn der Ver­dacht auf poli­ti­schen Wider­stand, Spio­na­ge oder Repu­blik­flucht bestand. Obser­va­tio­nen, Ein­schüch­te­rung und Inhaf­tie­rung kamen dann zum Einsatz!

Gün­ther Hein­zel und sei­ne Frau Eva stan­den uns am Don­ners­tag, dem 15.03.2018, in einer span­nen­den und beein­dru­cken­den Gesprächs­run­de in der Aula des Arnol­di­gym­na­si­ums als Zeit­zeu­gen Rede und Ant­wort. Herr Hein­zel erzähl­te, er sei wäh­rend sei­nes Lebens in der DDR ein Geg­ner des Regimes gewe­sen, nach sei­ner Flucht ein Feind. Die Geschich­te der ins­ge­samt 3 Flucht­ver­su­che der bei­den Hein­zels sowie die Gegen­maß­nah­men der Sta­si schil­dert er unter ande­rem in sei­nem Roman „ Zwei plus vier “, den er unter dem Pseud­onym Rein­hard Iben ver­öf­fent­lich­te und in dem er sei­ne Geschich­te auf­ar­bei­te­te. Er ver­frem­det dar­in die Stadt Wal­ters­hau­sen zu War­ter­ode und ändert sei­nen Namen in Paul Han­feld, des­sen Lie­be zu Han­na (statt Eva) an den Gescheh­nis­sen nicht zer­bricht, son­dern wächst.
Nach sei­ner Flucht stu­dier­te Gün­ther Hein­zel und lebt seit 1986 in Köln. Sein Roman fin­det sich auch in der Schul­bi­blio­thek der Arnol­di­schu­le. Dar­aus las der Autor schließ­lich noch vor Arnol­dia­nern aus der Klas­sen­stu­fe 11 und beant­wor­te­te vie­le Fra­gen zum span­nen­den und bewe­gen­den Gesche­hen des Buches. Auch lite­ra­ri­sche und den Schreib­pro­zess betref­fen­de Aspek­te wur­den erfragt.

Die Wan­der­aus­stel­lung „Kal­ter Krieg“ des gleich­na­mi­gen Ber­li­ner Kol­legs und der Bun­des­stif­tung zur Auf­ar­bei­tung der SED-Dik­ta­tur im Licht­hof der Arnol­di­schu­le run­de­te die Beschäf­ti­gung mit dem The­ma ab.

Wir dan­ken dem Ehe­paar Hein­zel, Herrn Wanit­sch­ke, den Mit­ar­bei­tern der Gedenk­stät­te und des Sta­si-Archivs, Frau Lem­che und Herr Fes­tag, die uns die­se Exkur­si­on mit tie­fe­ren Ein­bli­cken in die Geschich­te ermög­licht haben.

Übri­gens: Ein 17-jäh­ri­ger wur­de sei­ner­zeit für das Graf­fi­to „ Macht aus dem Staat Gur­ken­sa­lat“ zu einem hal­ben Jahr Gefäng­nis­stra­fe in der Andre­as­stra­ße verurteilt.

NILS NAUMANN, KLASSE 10/2,
SCHÜLER DER ARNOLDISCHULE